AD(H)S bei Erwachsenen: Ein Blick auf meine persönlichen Erfahrungen

Steffen Gabel

15.11.2023

Zufälligerweise habe ich in den letzten Wochen mehrere Dokus zum Thema AD(H)S bei Erwachsenen im Fernsehen wahrgenommen (Links unter dem Artikel). Es scheint, als wäre das Thema gerade mehr in die Öffentlichkeit gerückt. Bei dem Leidensdruck, der von den Beschwerden bei Erwachsenen ausgeht, wundert mich das nicht…

 

Laut aktuellen Zahlen sind in Deutschland 2-3% der Erwachsenen (ca. 2 Millionen!) von der Erkrankung betroffen; die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Die Beschwerden unterscheiden sich sowohl von den Grunderkrankungen (ADHS: Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung; ADS: Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom) als auch beachtlich im Beschwerdebild zwischen den Geschlechtern. Jungs und Männer sind eher impulsiver und hyperaktiver, während Mädchen und Frauen eher unaufmerksamer, ängstlicher und depressiver leiden, unter anderem.

 

Wieso beschäftigt mich dieses Thema? Ich vermute selbst AD(H)S zu haben mich erinnert das Symptombild sehr sehr intensiv an meine kindlichen Erfahrungen. Ich war der klassische Zappelphilipp. Ich konnte in der Schule nicht still sitzen, mich wenig konzentrieren und musste ständig den Unterricht durch Kommentare stören. Daneben fiel es mir grundsätzlich schwer, mit meinem Bewegungsdrang zurechtzukommen. Das verstärkte sich in der Jugend und im Erwachsenenalter. Weil ich selbst nie diagnostiziert wurde, blieb es unerkannt. Ich musste selbst schauen, wie ich die starken Beschwerden kompensiere. Zum einen brauchte ich sehr viel Struktur, ein Sicherheits- und Kontrollgefühl. Ich war und bin extrem geschäftig, antriebsgesteigert, brauche (fast) immer etwas zu tun und vor allem neue und große Herausforderungen. Zum anderen leide ich komorbid (begleitend) an regelmäßigen Stimmungsschwankungen bis hin zu depressiven Episoden. Früher gab es auch noch viele generelle, aber nicht ganz stark ausgeformte Ängste in meinem Leben.

 

Seit einigen Jahren möchte ich nun Klarheit, ob ich tatsächlich betroffen bin, und suchte nach einer entsprechenden Diagnostik. Nach fast 2 Jahren Wartezeit hatte ich nun gestern den Auftakt des diagnostischen Prozesses. Da ich in Halle leider kein entsprechendes Angebot fand, habe ich mich an der Uni-Klinik in Leipzig angemeldet (https://www.uniklinikum-leipzig.de/einrichtungen/psychiatrie-psychotherapie/Seiten/ambulanz-adhs.aspx). Ich bin im Moment sehr froh, dass mein Leidensdruck nun in der Diagnostik mündet, und ich zeitnah weiß, ob ich tatsächlich betroffen bin.

 

Bei Erwachsenen sind folgende Symptome typisch:

- Konzentrationsschwierigkeiten

- Schwierigkeit, Aufgaben zu erledigen

- Stimmungsschwankungen

- Ungeduld

- Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung von Beziehungen.

 

Hyperaktivität bei Erwachsenen manifestiert sich in der Regel eher in Form von Rastlosigkeit und Unruhe als in Form von offenkundiger motorischer Überaktivität, die bei Kleinkindern auftritt. Erwachsene mit ADHS besitzen in der Regel ein höheres Risiko für Arbeitslosigkeit, reduziertes Bildungsniveau und erhöhte Raten von Drogenmissbrauch und Kriminalität. Autounfälle und Verletzungen sind häufiger.

 

ADHS kann im Erwachsenenalter schwieriger zu diagnostizieren sein. Die Symptome können ähnlich denen von Stimmungsschwankungen, Angststörungen und Substanzgebrauchsstörungen sein. Da Selbstauskunft über Kindheitssymptome unzuverlässig sein kann, müssen Ärzte Schulakten einsehen oder Familienmitglieder befragen, um die Existenz von Erscheinungen vor dem Alter von 12 Jahren zu bestätigen.

 

Erwachsene mit ADHS können von den gleichen Arten von Stimulanzien profitieren, die Kinder mit ADHS nehmen. Sie können auch von der Beratung profitieren, um ihr Zeitmanagement und andere Bewältigungsstrategien zu verbessern.

 

Zu den Kernsymptomen und Anzeichen von ADHS gehören:

- Unaufmerksamkeit

- Impulsivität

- Hyperaktivität.

 

Die Konzentrationsschwäche wird deutlich, wenn ein Kind eine Aufgabe bekommt, die Wachsamkeit, schnelle Reaktion, räumliche Wahrnehmung und gerichtetes Hören verlangt. Impulsivität bezieht sich auf eilige Aktionen, die das Potenzial für ein negatives Ergebnis (z. B. das Überqueren einer Straße ohne zu schauen bei Kindern; das plötzliche Verlassen der Schule oder des Jobs bei Jugendlichen und Erwachsenen, ohne die Folgen zu überdenken) haben. Hyperaktivität beinhaltet übermäßige motorische Aktivität. Kinder, vor allem jüngere, können Schwierigkeiten haben, ruhig zu sitzen, wenn es von ihnen erwartet wird (in der Schule oder Kirche zum Beispiel). Ältere Patienten können einfach zappelig, unruhig oder gesprächig sein—manchmal in dem Maße, dass sich andere erschöpft fühlen, wenn sie sie beobachten.

 

Menschen mit ADS sind unkonzentriert und unaufmerksam, leiden aber nicht an der hyperaktiven Verhaltensauffälligkeit. Sie fallen oft weniger auf als ihre hyperaktiven Mitmenschen, obwohl sie zumeist dieselben Probleme im Privatleben oder am Arbeitsplatz haben. Die Symptome von ADS und ADHS gehen fließend ineinander über.

 

ADS-Anzeichen:

- Langsamkeit und Verträumtheit

- Ängstlichkeit und Schüchternheit

- Empfindlichkeit und sehr sensibel.

 

Folgende Anzeichen können sowohl ADS als auch ADHS zugeordnet werden:

- Emotionale Instabilität mit aufbrausendem Verhalten

- Vergesslichkeit und Zerstreutheit

- Schlechte Feinmotorik

- Leichte Ablenkbarkeit

- Schlechte Konzentrationsfähigkeit

- Häufiges Trödeln und Verspäten

- Schlechtes Zeitmanagement.

 

ADHS-Anzeichen:

- Impulsivität

- Überdrehtes Verhalten

- Ungeduld

- Zappelig, nicht still sitzen können

- Störend

- Niedrige Frustrationsgrenze.

 

Die Diagnose ADS oder ADHS kann nur fachärztlich mit entsprechenden Fachkenntnissen gestellt werden, wobei hier verschiedene Ausprägungen und Schweregrade unterschieden werden.

 

Merke: Der unaufmerksame Typ: ADS! Der hyperaktiv-impulsive Typ: ADHS!

 

Der Vorteil von ADHS:

- Die hyperaktive Verhaltensweise lässt meist im Erwachsenenalter nach

- Sie sind äußerst kreativ und haben einfallsreiche Ideen

- Sie haben guten Zugang zu ihren Gefühlen

- Sie haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl

- Sie beweisen gute Ausdauer bei körperlichen Arbeiten.

 

Unerkannt und unbehandelt können sich ADHS und ADS chronifizieren und zu erheblichem Leidensdruck führen. Deshalb ist eine (frühzeitige) Diagnostik von entscheidender Bedeutung. Wenn Betroffene um ihre Erkrankung wissen, können entsprechende Therapien vorgeschlagen und vorgenommen werden. Vielen hilft tatsächlich die Gabe von Ritalin. Zusätzlich kann es auch einfach entlastend sein, dass man seinen Beschwerden endlich einen Namen geben kann. Nicht als Entschuldigung, sondern als Erklärung, und auch um für sich nach hilfreichen Strategien der Selbstzuwendung zu schauen. Ich selbst würde mich auch für eine medikamentöse Therapie entscheiden, falls ich die Diagnose bekomme. Gleichzeitig würde ich auch schauen, was mir noch helfen würde, um mit meinen Symptomen Frieden zu schließen, welche Ressourcen und Stärken sich daraus ergeben könnten, in welche Richtung meine Geschäftigkeit münden könnte…

 

In meiner Tätigkeit als Systemischer Berater würde ich beispielsweise mit Betroffenen explorieren, an welcher Stelle sie aufgrund der Beschwerden einen Leidensdruck haben und erarbeiten, mit welchen neuen Gedanken und neuem Verhalten sich dieser Leidensdruck lindern ließe. Gleichzeitig würde ich aber auch die Ressourcen und Stärken, die sich aus dem Krankheitsbild ergeben, in den Blick nehmen, um so an den positiven Seiten des/der Klient*in zu arbeiten.

Aktuelle Dokumentationen im Fernsehen:

https://www.arte.tv/de/videos/111750-011-A/re-adhs-bei-erwachsenen/

https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad/simones-langer-weg-mit-adhs-yt-100.html

https://www.ardmediathek.de/video/hirschhausens-check-up/hirschhausen-und-adhs/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2hpcnNjaGhhdXNlbnMtY2hlY2stdXAvMjAyMy0xMC0zMF8yMC0xNS1NRVo

 Kontakt

www.empathie-praxis.de